Land der Gegensätze
Land der Gegensätze
Montag, 24. März 2014
Die Ortschaft East London umfahren wir grosszügig um möglichst schnell an die Strände der von allen so gepriesenen Wild Coast zu kommen. Mit dem Überqueren des Great Kei Rivers hinter Morgan‘s Bay und dem Eintauchen in die ehemalige Transkei ändert sich auch die Landschaft und die Bevölkerungsdichte nimmt beängstigende Formen an. Die Transkei war das erste Homeland, das 1963 unter der Herrschaft von Kaizer Matanzima entstand. Ein Produkt der Apartheid-Regierung, deren Folgen bis heute deutlich sichtbar sind. Als eine der dichtbesiedelsten und ärmsten Regionen des Landes wurden praktisch alle Wälder abgeholzt und durch starke Überweidung der gnadenlosen Bodenerosion ausgesetzt. Da wo sich das momentan reichlich vorhandene Regenwasser in den Tälern sammelt, entstehen tiefe Risse in der Landschaft, ganze Hänge geraten in Bewegung. Mit der Verarmung der Bevölkerung nehmen auch die Gewaltverbrechen zu und wir stellen plötzlich fest, dass wir auf diesen Strassen die einzigen Weissen sind. Auf dem Weg zu einerm kleinen, sehenswerten Ort an der Küste, rasten wir am Strassenrand abseits jeglicher Behausung für einen kurzen Lunch. Ein vorbeifahrender Polizeibeamter in Zivil stoppt augenblicklich seinen VW-Amarok und empfiehlt uns augenblicklich das Feld zu räumen um unseren Lunch im Schutze der nächsten Polizeidienststelle fortzusetzen. Wir schauten etwas verdutzt aus der Wäsche aber er meinte nur: It is for your safety.
Die Küste verdankt ihren Namen dem Umstand, dass hier besonders viele Schiffe auf Grund gelaufen sind und kleine Buchten, umrahmt von bizarren Felsformationen, häufig anzutreffen sind. Auf schlechten, nach den letzten Regenfällen aufgeweichten Pisten, fahren wir einige Strände an sind aber, da das Wetter uns im Stich lässt, nicht wirklich begeistert. In den wenigen grösseren Ortschaften meinen wir nach Kenia versetzt worden zu sein. Strassenmärkte, Feuerstellen mitten in Bergen von Müll, ein Gewusel an Menschen prägen das Zentrum der Städte. Auffallend viele Polizeifahrzeuge patroullieren im Schrittempo durch die Gegend, nie und nimmer würde ich hier mit einer Kamera in der Hand unser Fahrzeug verlassen. Die vielen Menschen scheinen keine Notiz von uns zu nehmen, vermeiden sogar den Augenkontakt als wären wir inexistent. Ich helfe einer älteren Schwarzen den hohen Bordsteinrand zu erklimmen trotzdem ignoriert sie mich komplett und würdigt mich keines Blickes. Wir sind weisser Hautfarbe und gehören nicht hierher.
Bei Port Edward überqueren wir die Distriktgrenze zu Kwazulu Natal und sind wie von Geisterhand erschaffen, wieder in der „zivilisierten Welt“ angekommen. Entlang der Küste in Richtung Durban reiht sich ein Ferienort an den nächsten und glänzt durch meist leerstehende, äusserst geschmacklose Villenviertel. Für uns ergibt sich immerhin die Möglichkeit Campingplätze zu finden wo wir unser allabendlich müdes Haupt ruhig in die Kissen fallen lassen können.
Die vergangenen Tage haben wir uns etwas einsam gefühlt, kein Tourist verirrt sich in dieser Jahreszeit in diese Region, in Reiseführern wird teilweise sogar davor gewarnt die Transkei zu durchqueren. Ein wundervolles Land mit komplizierter Vergangenheit aber auch ein Land der krassen Gegensätze offenbart sich uns dieser Tage.
Nachdem wir in Rocky Bay bei nächtlichem Sturm fast mit samt unserem Hab und Gut ins Meer hinausgeblasen wurden, reihenweise wurden Wohnwagenvorzelte darniedergemäht, verlassen wir endgültig die Küste und den stürmischen Ozean.
Durch endlose Zuckerplantagen, denen die letzten natürlichen Wälder dieser Region zum Opfer gefallen sind, windet sich die R612 steil die Berge hinauf. Schnell erreichen wir das kleine Örtchen Underberg (hat offensichtlich nichts mit dem gleichnamigen Getränk zu tun) das wohl eingebettet am südlichen Rand der Drakensberge liegt. Der Himmel zieht sich wieder einmal zu, dicke Nebelschwaden und aufkommender Nieselregen lassen die dahinterliegende Bergwelt nicht einmal erahnen.
Unser Aufstieg zum Sani Pass und der Wunsch Lesotho zu bereisen steht offensichtlich unter schlechten Sternen. Am südafrikanischen Grenzkontrollposten angekommen stellen die Beamten fest, dass wir illegal im Land wären und wir nicht ausreisen dürften. Unser Papier und gleichzeitiger Beweis der Visaverlängerung von Home Affairs in Upington wollen sie nicht akzeptieren, da offensichtlich das Prozedere im Zentralcomputer nicht vermerkt wurde. Zwei Stunden stehen wir im Nieselregen an der auf 1900 Metern hoch gelegenen Grenzstation, frieren uns den Arsch ab, diskutieren mit arroganten Beamten, die einfach nicht wollen und zudem absolut keine Ahnung haben.
Raymonde geht es schlechter und wir kehren um, lassen den Sani Pass und das Abenteuer Lesotho sausen, es hat nicht sollen sein.
Die Bissstelle entwickelt sich rasant, bildet einen Krater in dem sich das Innere in ein tiefes Loch verwandelt und das Gewebe zu verwesen scheint.
Im Royal Natal National Park erfragen wir die Adresse eines Arztes für Notfälle in der Umgebung und fahren so schnell wie möglich nach Harrismith. Der von uns aufgesuchte Arzt diagnostiziert Zeckenbiss-fieber, Rickettsia africae. Die Zecken beissen und lassen sich nach dem Biss fallen, können somit nicht sofort erkannt werden. Die Symptome, wie etwa die Lymphknotenschwellung und das Kopfweh sind eindeutig und mit der Einnahme der richtigen Medikamente sollte einer erfolgreichen Heilung nichts im Wege stehen. Wir sind froh endlich Gewissheit zu haben und ich in Zukunft nicht alleine im Fahrzeug sitzen werde. Mit den richtigen Medis geht es auch plötzlich wieder aufwärts und die Sonne strahlt wieder in vollem Glanz.
Wieder einmal tun wir uns schwer mit der Suche nach einem geeigneten Übernachtungsplatz. Auf dem Weg nach Norden durchqueren wir endlos weites Farmland, kleinere Ortschaften wie Reitz, Frankfort oder Villiers hätten zwar laut Campingguide etwas zu bieten, doch scheinen die Plätze nicht mehr zu existieren oder sind dem Niedergang der Wirtschaft zum Opfer gefallen. Kurz nach Sonnenuntergang erreichen wir doch noch eine Campingsite die zwar völlig abgewrackt aber uns trotzdem den sicheren Zaun und damit eine ruhige Nacht garantiert. Die Notwendigkeit solch einen Platz zu finden ist hier leider Realität und lässt kein Abbiegen in den vermeintlichen sicheren Busch zu, da es diese freien Landstriche nicht mehr gibt und die persönliche Sicherheit für Hab und Gut ein weitere Problem darstellt.
Wochen zuvor hatten wir Schweizer kennengelernt die seit vierzehn Jahren in Pretoria zu Hause sind und uns spontan in ihr Haus eingeladen hatten. Für uns eine gute Gelegenheit das hektische Johannesburg links liegen zu lassen und unsere geplanten Einkäufe und Arbeiten am Auto im ruhigeren Pretoria zu erledigen. Ein Satz neuer Reifen ist schnell besorgt und im um die Ecke liegenden Menlyn Park Einkaufszentrum kann man, wenn man denn will, so richtig Geld unter die Leute bringen.
Bei Margrith und Joachim Müller, die im Lynnwoodpark, einem eingeschlossenem und sicherem Wohnviertel wohnen, können wir in der Einfahrt ihres grossen Hauses stehen und uns von Ihnen regelrecht verwöhnen lassen. Sie erzählen uns viel von ihrem Leben in Südafrika, wissen viel von diesem Land zu berichten, haben sie doch schon früher, zu Apartheid Zeiten, hier gelebt.
Es zeigt sich wieder einmal wie wichtig diese für afrikanische Verhältnisse doch recht kleinen Parks für die Einwohner zu sein scheinen. Jedes der zwei grossen Camps ist völlig ausgebucht und es herrscht regelrechte Jahrmarktstimmung innerhalb des Platzes. Trotzdem quetschen wir uns noch irgendwo in eine freie Ecke, staunen wieder einmal wie unkompliziert die weissen Südafrikaner untereinander verkehren. Die Nähe zum Nachbarn scheint sie überhaupt nicht zu stören, ungefähr so müssen die Wagenburgen der Buren zur Siedlerzeit ausgesehen haben.
Ab Sonntagmittag ist der Spuk vorbei, alle reisen in die grossen Städte und zu ihrer Arbeit zurück, wir aber haben den riesigen Platz für uns ganz alleine, können endlich die Ruhe und den Park geniessen.
Auf ausgedehnten Gamedrives durch die hügelige Landschaft bekommmen wir trotz des hohen Grases zahlreiche Tiere zu Gesicht. Wir haben das riesige Glück zwei Geparde zu entdecken und per Zufall läuft uns noch ein Leopard vor das Auto der offensichtlich mehr erschrocken wie wir, sekundenlang auf der Piste verweilt, bervor er unsichtbar geworden im Busch verschwindet. Nashörner beider Rassen werden hier sowieso frei Haus geliefert, Zebras, Gnus und Impalas streifen in kleinen Herden durch die saftig grüne Landschaft. Das alles bekommt man für einmalige 60 Rand, für zwei Personen und das Auto, solange man hier campiert.
So schön kann das Leben sein.
So hoch der Lebensstandard in Südafrika auch sein mag, trügt das Bild des Wohlstands und des guten Lebens und lässt zunehmend tiefe Risse in der Gesellschaft erkennen. Ein Land mit 52 Millionen Einwohnern, davon 10% Weisse und tatsächlichen 4 Millionen Steuerzahlern, regt zum Nachdenken an. Die absolute Herrschaft der Regierungspartei ANC und deren Führer nehmen sich was sie wollen und führen das Land immer mehr ins Desaster. Ein Präsident, der sein Eigenheim und das seiner drei aktuellen Frauen, für umgerechnet 16,2 Millionen Schweizer Franken auf Staatskosten verschönern lässt, kann kein Gewinn und kein Gewähr für das Wohlergehen eines Staates sein. Am 7. Mai finden die nächsten Parlamentswahlen statt, doch die Mehrheit des ANC wird gesichert bleiben. Afrika wird von Stämmen und deren Führern regiert, an diesem System wird sich auch in naher Zukunft nicht so schnell etwas ändern. Ein Land der Gegensätze.
Dies werden die letzten Nachrichten aus Südafrika sein, denn wir sind unterdessen im nördlichsten Zipfel des Limpopo angekommen und überqueren in den nächsten Tagen bei Beitbridge die Grenze zu Zimbabwe. Immer ein paar Dollar zur Hand, um den armen Polizisten am Strassenrand unter die Arme greifen zu können.
Grüsse aus der Region Limpopo, Südafrika